Wie ich in einem der ersten Texte geschrieben habe, halte ich es für sinnvoll, unsere medizinischen Konzepte durch Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu bereichern. Grundlage dieser Aussage sind zahlreiche eigene Erfahrungen mit anderen Welten (und dem Kontrast zu unserem System)

Die ersten – verstörenden – Erfahrungen konnte ich in Indien machen. Die Konfrontation mit der – trotz all ihren modernen Wahnsinnigkeiten – dort so uralt lebendigen und spirituellen Gesellschaft haben vor zwanzig Jahren meine Neugier auf andere Perspektiven geweckt. Und meine Seele.

Durch das Hineinlassen all dieser uralten Gedanken in meine Innenwelt entstand ein neues Ich, neue Ideen wie Leben auch – und auch ganz anders – gehen könnte.

Die Praxis und Theorie asiatischer Kampfkünste habe einige dieser Ideen in Haltungen gewandelt, welche entscheidend meine Persönlichkeit, mein Denken und Handeln geprägt haben und immer noch prägen.

Die jahrelange Arbeit in einer Klinik für anthroposophische Medizin und anschließend die jahrelange Auseinandersetzung mit der Makrobiotik haben zahlreiche tiefe Wurzeln und Facetten hinzugefügt.

Zwischenzeitlich bin ich über Carlos Castaneda – das erste Buch „Reise nach Ixtlan“ war ein Geschenk eines deutschen Aussteigers, den ich in Bombay getroffen habe – erstmals mit den Cosmovisionen der westlichen Naturvölker in Berührung gekommen. Auch diese habe starke Auswirkungen hinterlassen und ich bin sehr froh, diesen Sommer den Schamanen Yerpun Solar kennengelernt zu haben – der nicht nur die Theorie dieser Naturvölker, sondern auch deren Praxis gelebt hat. Seine dadurch gewonnenen Erfahrungen möchte er weitergeben.

Hier treffen sich also seine und meine Interessen, so dass wir für diesen Oktober ein gemeinsames Seminar in Übersee am Chiemsee geplant haben. Ich „spreche“ es jetzt mal so ins Netz, dass ich mich SEHR freuen würde, wenn sich insbesondere Ärzte und Therapeuten für diesen ersten Schritt in eine neue Gemeinsamkeit interessieren könnten.

Für nähere Informationen:   Yerpun_WS_Oktober2015_Übersee

 

Notitz: Ich spreche aus Gründen der Gewohnheit und der Einfachheit von Patienten; Patientinnen sind damit ebenso gemeint, ich bitte um Nachsicht.

Ich arbeite häufig mit traumatisierten, manchmal sogar schwerst traumatisierten Menschen. Oft genug kommt es vor, dass sich hinter einer „normalen“ psychischen Diagnose frühe Traumatisierungen finden. (In Deutschland finden sich in fast allen Fällen transgenerationale Traumatisierungen, also sehr belastende Erlebnisse der Eltern oder Großeltern, welche diese im Rahmen der Weltkriege erlitten haben.) Für diese „Fälle“ gibt es mittlerweile – dankenswerterweise – ein ganzes Sammelsurium von Therapieverfahren, die überwiegend demselben Schema folgen: Abstecken einer Traumalandkarte, Erarbeiten und Einüben von „Stabilisierungstechniken“, Traumakonfrontation und letztlich in eine „Integrationpahse“, die den Patienten mit all seinem erlebten Leid wieder „gesund (??)“ macht.

Es ist ein schwieriger und langer Weg – für den Patienten wie für den Begleiter – sich den Wunden und Verletzungen zu nähern und diese Nähe zu halten. Manches Leid nimmt beiden die Luft zum Atmen und entwickelt Kräfte, die beide bis jenseits der Therapie und bis in ihre Träume verfolgen können. In der sich daraus ergebenden tiefen Kommunikation entwickelt sich aber auch bei beiden eine ebensolche – wenn langfristig nicht sogar tiefere Ebene: Mitgefühl und Staunen über die Kräfte, die zu einem Überstehen dieser Erfahrungen geführt haben. Daraus ergibt sich eine ungeheuerliche Polarität, eine innere Spannweite, die vielleicht sogar das gesamte Ausmaß des Traumas überbrücken kann. In dieser Polarität zwischen hellem Licht und tiefsten Schatten ein Gleichgewicht zu halten bleibt oft lebenslange Herausforderung und benötigt einen Raum, der möglichst wenig Irritationen schafft.

Genau hier eröffnet sich wieder der zuvor beschriebene Raum von Respekt und Würde. Ein Mensch, der gelernt hat, mit seiner oft tiefgreifenden Entwürdigung umzugehen, der seine biographischen Verletzungen tragen und zum Teil erlösen gelernt hat, ist dadurch unweigerlich als Persönlichkeit gereift. Er hat sich einen neuen Selbstrespekt erschaffen. Vielleicht hat er sogar die feine Differenzierungsfähigkeit seiner Seele wieder erlangt, welche Wahrheit von Lüge, authentisch von aufgesetzt etc. unterscheiden kann. Er ist definitiv gesünder – in einem absoluten Sinn. Doch hilft ihm das auch, in seinem Alltag und mit den Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben wieder zurecht zu kommen?

Gesundheit ist stets eine Definition in Relation zum KONTEXT, in dem sie wieder hergestellt werden soll. Wie also sollte sich „Gesundheit“ bei uns in Deutschland definieren? Dass dieser Mensch wieder einer geregelten Arbeit nachgeht, in der er sich einem fremdbestimmenden System unterwerfen muss, das seinen Seelenregungen keinen Respekt zollt? In dem SIE sich wieder mit einer Herabwürdigung ihrer geschlechtlichen Identität arrangieren soll? Dass er wieder in einer Cafébar sitzen und Dinge zu sich nehmen kann, von denen jeder weiß, dass sie nur durch Unterdrückung und Knechtschaft von Arbeitern in fernen Ländern und/oder Tieren in unwürdigen Lebensumständen erzeugt wurden? Dass er am allgemeinen Konsum wieder teilnehmen kann, obwohl jeder weiß, dass durch Anbaumethoden (Gentechnisch veränderte Pflanzen auf künstlich bewässerten Äckern von Bauern angebaut, die sich nach fünf Jahren wegen ihrer Schulden suizidieren) und die Herstellung (ArbeiterInnen in unwürdigsten Zuständen) Blut an jeder Faser klebt? Wenn die letztliche „Befriedigung“ wieder bei einigen Wenigen ankommt?

Wer sich ernsthaft der Heilung seiner Seele widmet, der wird sich im Verlauf zunehmenden sozialen Schwierigkeiten ausgesetzt sehen. Unser aktueller „kultureller“ Kontext reagiert auf Menschen, die ihren inneren Prozessen mit Würde und Respekt zu folgen versuchen, mit hochgradigem Misstrauen und sehr oft mit Abwertung. Die Ausnahme hierbei stellen Künstlerpersönlichkeiten dar, welchen es gelungen ist, die inneren Polaritäten fruchtbar zu machen und nach Außen zu tragen.